Die Funktionsweise des invertierten Aufbaus der Netzhaut im Wirbeltierauge ist ein altes Rätsel der Wissenschaft. Das beim Sehvorgang auf die Netzhaut einfallende Licht muss erst alle Netzhautschichten durchdringen, bevor es die Photorezeptorzellen erreicht, welche sich auf der lichtabgewandten Seite des Gewebes befinden. Die vorgelagerten Gewebsschichten enthalten zahlreiche lichtstreuende Bestandteile und müssten den Sehvorgang der Wirbeltiere theoretisch negativ beeinflussen. Diese Annahme steht jedoch im Widerspruch zu dem beeindruckenden Sehvermögen der meisten Wirbeltiere. Die Müllerschen Radialgliazellen stellen eine Lösung für diesen scheinbaren Widerspruch dar. Aufgrund der auffälligen morphologischen Struktur dieser Gliazellen, welche die gesamte Dicke der Netzhaut säulenförmig durchspannen, wurde die Hypothese aufgestellt, dass Müllerzellen nach dem Prinzip der Lichtleitung arbeiten und so das Licht zu den Photorezeptoren transportieren. Diese Theorie konnte jedoch bisher noch nicht bewiesen werden, da die bisherigen experimentellen Messmethoden auf der Basis von isolierten Müllerzellen ungeeignet sind, um diese Funktion im lebenden Gewebe nachzuweisen.
Die vorliegende Arbeit beweist erstmalig, dass die Müllerschen Gliazellen als lebende Lichtleiter im Netzhautgewebe funktionieren. Um diese Aufgabe den Müllerzellen eindeutig zuzuordnen, wurde eine neuartige Methode entwickelt, welche gleichzeitig mehrere für den Nachweis unverzichtbare Parameter erfassen kann. Aufgrund einer fluoreszenzbasierten Visualisierung der Müllerzellen in der intakten Netzhaut konnte mit Hilfe eines auf Glasfaseroptik basierenden Aufbaus die Beleuchtung einzelner Müllerzellen erfolgen. Zeitgleich war es möglich, sowohl den Weg des Lichtes von der lichtzugewandten Seite bis zu den Photorezeptoren als auch die Transmission hinter dem Gewebe zu detektieren. Die Komplexität dieses Messverfahrens erlaubte eine detaillierte Charakterisierung des Einflusses der Müllerzelle auf die Streueigenschaften der verschiedenen retinalen Schichten sowie des sich ergebenden Lichtsignals an den Rezeptorzellen. Mittels eines speziellen Analyseverfahrens konnte umfassendes Datenmaterial erhoben und so die Müllerzelle eindeutig als Lichtleiter identifiziert werden. Darauf aufbauend wird in dieser Arbeit außerdem gezeigt, dass alle Müllerzellen gemeinsam und damit in ihrer Gesamtheit mittels ihrer Lichtleitfunktion das an den Photorezeptoren ankommende Lichtmuster beeinflussen, was zu einer verbesserten Bildqualität führt. Dies wird zusätzlich durch morphologische Untersuchungen gestützt, die zeigen, dass die für das Kontrastsehen verantwortlichen Zapfen-Photorezeptorzellen lokal hinter den Müllerzellen angeordnet sind. Demnach ist jeder Zapfen mit einem ihm vorgelagerten Lichtleiter ausgestattet. Zusammenfassend liefert diese Arbeit eine Erklärung, wie trotz des invertierten Aufbaus der Netzhaut die visuelle Information als Grundlage für das Sehen der Wirbeltiere erhalten bleibt.
Identifer | oai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:11879 |
Date | 01 March 2013 |
Creators | Agte, Silke |
Contributors | Käs, Josef, Reichenbach, Andreas, Ribak, Erez, Universität Leipzig |
Source Sets | Hochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden |
Language | English |
Detected Language | German |
Type | doc-type:doctoralThesis, info:eu-repo/semantics/doctoralThesis, doc-type:Text |
Rights | info:eu-repo/semantics/openAccess |
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