Aus der Einleitung:
"Vitamine sind Produkte ernährungsphysiologischer Experimente, die seit den 1890er Jahren durchgeführt wurden und Aufklärung über gravierende Erkrankungen in niederländischen und britischen Kolonien liefern sollten. Ihren Namen erhielten sie 1912 durch den polnischen Biochemiker Casimir Funk.1 Die Identität der Vitamine war durch ihre Leistung bei der Heilung von Mangelkrankheiten bestimmt. Im angloamerikanischen Raum und später in der übrigen Welt etablierte sich rasch eine alphabetische Nomenklatur: Vitamin A verhütet die Augenkrankheit Xerophthalmia, Vitamin B verhütet Beriberi, Vitamin C verhütet Skorbut. Zu diesen Vitaminen kamen in den 1920er Jahren das antirachitische Vitamin D, das Antisterilitäts-Vitamin E und das blutungsstillende Vitamin K hinzu.
Die schon in geringsten Mengen gegebene Leistungsfähigkeit dieser Wirkstoffe weckte große Erwartungen, die weit über die experimentell herausgearbeitete Kompetenz hinausgingen. Schon über die von der IG Farben als Betaxin oder Betabion vertriebenen Vitamin B1-Präparate ließ sich jedoch zunächst nicht mehr sagen, als dass sie Beriberi heilten, was für den Inlandsmarkt keine besonders lukrativ erscheinende Aussage war.2 Der Schweizer Historiker Beat Bächi zeigt eindringlich, dass auch der weltweit führende Schweizer Vitamin-C-Produzent Hoffmann-La Roche noch Ende der 1920er Jahre die therapeutischen und kommerziellen Aussichten der Askorbinsäure nicht bestimmen konnte. Die Verwendung als Skorbutheilmittel spielte natürlich keine große Rolle. Es schien aber möglich, dass sich der spezifische Einfluss, den das Vitamin auf die oxydoreduktiven Vorgänge des Organismus ausübe, auch in anderen therapeutischen Richtungen auswirken könne. Bächi verweist darauf, dass die Propagandabteilungen der pharmazeutischen Firmen eine markante Rolle bei der Etablierung von Anwendungsgebieten spielten. Aber mehr noch setzte sich für alle Vitamine die Indikationsstellung Hypovitaminosis durch, der relative Vitaminmangel, mit der Vitamingaben für einen letztlich unbegrenzten Bereich an Erscheinungen empfohlen werden konnte.3 Vitamintherapien richteten sich nicht an die an Avitaminosen leidenden Kranken, sondern an Gesunde, die aufgrund von Hypovitaminosen noch nicht gesund genug waren bzw. Mangelkrankheiten vorbeugen wollten. Vor allem das Vitamin C wurde in den 1930er Jahren als universal einsetzbares Mittel zur Stärkung und Optimierung des Organismus konzipiert."
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Identifer | oai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa.de:bsz:14-qucosa-102853 |
Date | 04 February 2013 |
Creators | Stoff, Heiko |
Contributors | Technische Universität Dresden, |
Publisher | Saechsische Landesbibliothek- Staats- und Universitaetsbibliothek Dresden |
Source Sets | Hochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden |
Language | deu |
Detected Language | German |
Type | doc-type:article |
Format | application/pdf |
Source | Dresdener Beiträge zur Geschichte der Technikwissenschaften, Nr. 32 (2008), Wissenschaft und Technik im Nationalsozialismus, S. 59-93 |
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