Der öffentliche Diskurs um Sterbehilfe hat in den letzten Jahren eine neue Dimension erreicht. Neben der medialen Debatte melden sich verschiedene gesellschaftliche Akteure zu Wort, so die Politik, die Kirchen, Publizisten und Berufsverbände. Eine Vielzahl von plebiszitären Meinungsumfragen zeichnet das Bild einer mehrheitlichen Befürwortung von aktiver Sterbehilfe und Beihilfe zum Suizid in der Bevölkerung. Im Kontrast dazu existieren bislang kaum Daten zu den Einstellungen unter den eigentlich Betroffenen der Diskussion – zu den Haltungen unheilbar kranker Menschen zu Fragen der Euthanasie und ihrer Legitimität. Diese Promotionsarbeit umfasst die Projektierung, Koordination und Realisierung der multizentrischen ESPIL-Studie, die erstmals unheilbar kranke Patienten zu einer Vielzahl von Aspekten der Sterbehilfe befragt. Die vorliegende Dissertationsschrift beinhaltet die Auswertung der durch das Projekt generierten Daten.
Im Rahmen der ESPIL-Studie wurden 100Patienten mit unheilbarer Erkrankung und begrenzter Lebenserwartung an sechs Palliativzentren in Sachsen zu diversen Aspekten von aktiver Sterbehilfe und Beihilfe zum Suizid sowie zur passiven und indirekten Sterbehilfe interviewt. Dabei wurde zwischen allgemeinen Einstellungen und Sterbehilfe als individuell denkbare Option für den jeweiligen Studienteilnehmer selbst differenziert. Weitere Fragen explorieren die Haltungen zu Therapiebegrenzung im Kontext inkurabler Erkrankung, zu Triggerfaktoren des Wunsches nach Euthanasie, zur Einbindung von Ärzten und Angehörigen wie auch zum Denken über den Suizid per se. Eine Reihe von Subgruppen- analysen stratifiziert die Ergebnisse nach demografischen Faktoren und beleuchtet damit detailliert einige weitere interessante Aspekte.
Im Ergebnis zeigt sich ein differenziertes Bild: Trotz mehrheitlicher Befürwortung der aktiven Sterbehilfe unter den Studienteilnehmern liegen die Zustimmungsraten unter denen der Referenzkollektive aus dem Bevölkerungsquerschnitt. Die Majorität der in Sachsen befragten Palliativpatienten lehnt dagegen den assistierten Suizid ab. Maßnahmen der passiven und indirekten Sterbehilfe werden deutlich befürwortet. Die Daten aus ESPIL stützen die These, dass Palliativmedizin als Alternative in der Lage ist, den Wunsch nach Euthanasie zumindest partiell zu substituieren - allerdings kann dies statistisch nicht gesichert werden. Schließlich werden die Ergebnisse mit denen der Umfragen in der Bevölkerung und unter Ärzten und Pflegenden verglichen und die Situation in anderen Ländern betrachtet.
Die Dissertation wirft eine Vielzahl von Fragen auf, die sich aus der täglichen medizinischen Praxis ergeben. Im Vordergrund steht hierbei, ob die Ergebnisse von ESPIL für eine Legalisierung der aktiven Formen von Sterbehilfe sprechen. Nach Analyse der hieraus resultierenden gesellschaftlichen Risiken wird dies klar verneint. Die primäre Motivation für die vorliegende Arbeit ist jedoch die Fokussierung der Euthanasie-Debatte auf die Bedürfnisse der Betroffenen - damit soll ein Beitrag zum Abbau des diesbezüglich bestehenden Defizits im öffentlichen Diskurs geleistet werden.
Identifer | oai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:12227 |
Date | 05 November 2013 |
Creators | Thieme, Matthias |
Contributors | Sablotzki, Armin, Radke, Joachim, Universität Leipzig |
Source Sets | Hochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden |
Language | German |
Detected Language | German |
Type | doc-type:doctoralThesis, info:eu-repo/semantics/doctoralThesis, doc-type:Text |
Rights | info:eu-repo/semantics/openAccess |
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