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Die religiöse Praxis der Zhaijiao („Vegetarische Sekten“) in Taiwan

Die Dissertation beschäftigt sich mit drei Religionsgemeinschaften in Taiwan, die spätestens seit der japanischen Kolonialzeit (1895-1945) unter der Bezeichnung „vegetarische Sekten“ (Zhaijiao) klassifiziert werden. Auffälligstes Merkmal dieser Gruppen war und ist das der Mahāyāna-buddhistischen Tradition entlehnte Gebot vegetarischer Ernährung. Während sich der chinesische Mönchsorden von Beginn an Anfeindungen ausgesetzt sah, welche die tatsächliche Befolgung des vegetarischen Gebots in Frage stellten, waren es oft nicht-monastische Gruppierungen außerhalb des klerikalen Machtmonopols, welche dieses und andere Gebote scheinbar viel strikter befolgten. Zu diesem Kreis „außerbuddhistischer Buddhisten“ zählen die in dieser Studie untersuchten Religionsgemeinschaften Longhuapai („Sekte der Drachenblume“), Xiantianpai („Sekte des früheren Himmels“) und Jintongpai („Sekte des Goldwimpels“), die generisch als Zhaijiao bezeichnet werden. Diese drei ursprünglich vom chinesischen Festland stammenden Traditionen werden heute zumeist als laienbuddhistische Vereinigungen angesehen, teilen aber eine Geschichte, die weit über die Grenzen des „orthodoxen“ und distinkten Buddhismus hinausgeht. In ihnen verschmelzen nicht nur buddhistische und daoistische Elemente sowie Vorstellungen und Praktiken der kommunalen Volksreligiosität. Sie stehen auch in ungebrochener Tradition mit volksreligiösen Sekten der späten Ming- (1368-1644) und frühen Qing-Zeit (1644-1911).
Während die religiösen Vorstellungen und sozialen Organisationsformen der seit der Ming-Zeit entstandenen volksreligiösen Sekten – in deren Tradition die Zhaijiao Taiwans stehen – durch das Studium schriftlicher Quellen bereits recht gut bekannt sind, ist ihre religiöse Praxis hingegen bisher kaum erforscht. Die Dissertation unternimmt daher den Versuch, einen Beitrag dazu zu leisten, diese Lücke zu schließen. Sie hat es sich zum Ziel gemacht, die religiöse Praxis der vegetarischen Sekten im heutigen Taiwan zu analysieren und sie vor dem Hintergrund ihrer historischen Entwicklung einzuordnen. „Religiöse Praxis“ fungiert dabei als Oberbegriff für alles soziale und individuelle Sichverhalten in einem religiösen Feld und schließt damit sowohl hochgradig standardisiertes, formelles und vorgeprägtes Handeln (z.B. Rituale), als auch Formen religiös geprägter Lebensführung ein.
Die religiöse Praxis der Zhaijiao wird dabei erstmals einer ausführlichen diachronen Untersuchung unterzogen, die von den ältesten Erwähnungen im 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart des frühen 21. Jahrhunderts reicht. Ein zentrales Element besteht dabei in der Verknüpfung von Feldforschung und dem Studium literarischer Quellen, welche es ermöglicht, einerseits historische Veränderungen zu erkennen und andererseits die historischen Quellen vor dem Hintergrund empirischer Beobachtungen besser zu verstehen. Zu diesem Zweck wurde im Jahr 2010 eine Erhebung von Primärdaten im Zuge einer Feldforschung durchgeführt, die sich insgesamt über sieben Monate erstreckte und in der 31 Gemeinden in ganz Taiwan besucht wurden. Erst mit diesen vor Ort gewonnenen Daten über das religiöse Leben der Zhaijiao-Anhänger in ihrem „natürlichen Umfeld“ können die spärlichen Informationen, die aus historischen Quellen und bisherigen Forschungsarbeiten gewonnen werden konnten, in einen lebensweltlichen Kontext eingebettet und interpretiert werden.
Die heutigen Zhaijiao in Taiwan tragen als Abkömmlinge festlandchinesischer Sekten der Ming- und Qing-Zeit ein tief verwurzeltes historisches Erbe in sich. Dies besteht nicht nur aus jahrhundertealten Texten, die noch immer gedruckt, gelesen und rituell benutzt werden. Auch die religiöse Vorstellungswelt und Praxis nährt sich weiterhin aus dieser Tradition. Auf der anderen Seite erlebte Taiwan im vergangenen Jahrhundert infolge von Modernisierung, Verwestlichung, Urbanisierung usw. erhebliche politische und gesellschaftliche Umwälzungen, die auf die Entwicklung der Zhaijiao einen nachhaltigen Einfluss ausübten. Vor dem Hintergrund dieser zum Teil gegenläufigen Entwicklungen soll nach dem Verhältnis von Kontinuität und Wandel der Zhaijiao gefragt werden: Wie haben sich die kulturell eher konservativ und traditionell eingestellten Sekten unter den Bedingungen einer modernen und demokratischen Gesellschaft entwickelt und möglicherweise verändert?

Identiferoai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa.de:bsz:15-qucosa-138361
Date20 March 2014
CreatorsBroy, Nikolas
ContributorsUniversität Leipzig, Fakultät für Geschichte, Kunst- und Orientwissenschaften, Prof. Dr. Hubert Seiwert, Prof. Dr. Hubert Seiwert, Prof. Dr. Christoph Kleine
PublisherUniversitätsbibliothek Leipzig
Source SetsHochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden
Languagedeu
Detected LanguageGerman
Typedoc-type:doctoralThesis
Formatapplication/pdf

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