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Geschlechtergerecht und leichtverständlich?: Eine Untersuchung über die Vereinbarkeit von gendergerechter Sprache mit leichtverständlicher Sprache

Der Begriff ‚Barrierefreiheit‘ ist spätestens seit dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention im März 2009 in das Blickfeld der Gesellschaft und so auch des alltäglichen Lebens gerückt. Barrieren können unter anderem als „Schranke zur Absperrung“ (Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften n. d.) oder auch „Absperrung, die jemanden, etwas von etwas fernhält“ (Cornelsen Verlag 2022 a) beschrieben werden. Beiden Definitionen gleich ist die Assoziation mit einem räumlichen Hindernis oder dem Scheitern des physischen Zugangs zu etwas. Dies ist allerdings nur vermeintlich korrekt, denn auch Sprache kann eine Barriere darstellen. Beispielsweise kann sie Personen davon abhalten, einen Zugang zu den für sie relevanten Informationen zu erhalten, wenn sie nicht an die Voraussetzungen der Adressat:innen angepasst ist (vgl. Jacobi 2020, S. 10). Dann entsteht ein sprachliches Hindernis, eine Kommunikationsbarriere (vgl. ebd.).
Menschen, die eine Sprache gerade erst lernen, nicht lesen können oder kognitive Einschränkungen haben, sind mit diesem sprachlichen Hindernis im Alltag sehr häufig konfrontiert, allein letztere sind über 1,3 Millionen Menschen in Deutschland (vgl. ebd., S. 6).
Um Menschen mit kognitiven Einschränkungen aber auch Sprachlerner:innen den Zugang zu Informationen zu gewährleisten und sprachliche Barrierefreiheit zu er-möglichen, gibt es verschiedene Verständlichkeitskonzepte, die durch die Umset-zung von Regeln zu einer besseren Verständlichkeit für die Adressat:innen führen sollen. Dazu gehört unter anderem die Leichte Sprache, die durch die UN-Behindertenrechtskonvention sowie die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung auch rechtlich verankert ist (vgl. Bredel, Maaß 2016, S. 13).
Im Zusammenhang mit barrierefreier Kommunikation und sprachlicher Inklusion tritt auch die Forderung nach einer gendergerechten Sprache auf: „Auch die Sprache soll zur Inklusion beitragen – einerseits durch Ermöglichung von Verständigung und Information, andererseits durch gleiche Berücksichtigung aller in Ansprache und Formulierung“ (Froese 2017, S. 194).
Geschlechtergerechte Sprache zeichnet sich folglich durch sprachliche Repräsen-tation von Geschlecht aus. Auch hier existieren für eine angemessene Umsetzung zahlreiche Leitfäden, die eine Orientierung bieten sollen. Dabei sind die Möglich-keiten, sprachlich gendergerecht zu agieren, vielfältig. Es gibt sowohl Formulierun-gen, bei denen Geschlecht vordergründig ist, als auch Optionen geschlechterge-rechter Sprache, die keinen Rückschluss auf das Geschlecht zulassen (vgl. Kott-hoff 2017, S. 94f.).
Besonders in der Kritik stehen Formulierungen, welche Sonderzeichen enthalten, aber auch das Thema Gendern im Allgemeinen wird kontrovers diskutiert. Be-zeichnungen wie ‚Gender-Gaga‘ oder ‚Gender-Wahnsinn‘ werden im Zusammen-hang mit dieser Debatte nicht selten verwendet und die Schlagzeilen rund um das Gendern aktualisieren sich ständig: Während im Juli ein Mitarbeiter von Volkswagen gegen die firmeninterne Verwendung geschlechtergerechter Formulierungen klagte, sprachen sich Anfang August mehrere Sprachwissenschaftler:innen gegen das Gendern im öffentlich-rechtlichen Rundfunk aus (unter anderem nachzulesen unter https://www.mdr.de/wissen/mensch-alltag/gendern-sprache-leibniz-institut-fordert-toleranz-und-kreativitaet100.html).
Anhand zahlreicher kritischer Artikel ist erkennbar, dass geschlechtergerechte Sprache entweder stark abgelehnt oder befürwortet wird. Die Kritik am Gendern besteht unter anderem in der Befürchtung, es könnte die Ästhetik von Texten zer-stören, die Lesbarkeit einschränken oder unverständlich sein. Letzteres wurde allerdings bereits durch Studien widerlegt (vgl. Braun et al. 2007, S. 189).
Ob die Adressat:innengruppen leichtverständlicher Sprache geschlechtergerechte Formulierungen akzeptieren und verstehen können, wurde dabei nicht untersucht. Es ist bislang fraglich, ob die beiden Konzepte zusammengebracht werden können. Froese befürchtet, dass „[die] Kreativität der Formulierungen zur Inklusion im Namen der Gendergerechtigkeit“ (Froese 2017, S. 199; Anpassung J.P.) eine Exklusion der Adressat:innen leichtverständlicher Texte zur Folge haben könnte (vgl. ebd.). Schließlich stehen die Regeln der Leichten Sprache teilweise im Widerspruch zu den Möglichkeiten des Genderns. So sind Sonderzeichen in leichtverständlichen Texten beispielsweise zu vermeiden, beim Gendern in Kurzform allerdings unbedingt zu verwenden. Die Verständlichkeit eines Textes hat bei Leichter Sprache jedoch oberste Priorität, weshalb Christiane Maaß, Autorin des Regelbuchs für Leichte Sprache, hier einen Konflikt ausmacht:
We witness a clash of interest here: getting to the point where gender sensitive language is used on a regular basis has been a long and thorny road for the feminist empowerment movement and political activists. It is not easily to tolerate these achievements being practically rolled back in the name of inclusion for people with disabilities. To embody the contradiction between plurality of address and comprehensibility is one of the burdens of Easy Language that deduces from its acceptability and remains an unresolvable dilemma (Maaß 2020, S. 102f.).

Leichte Sprache steht vor dem Dilemma, gleichzeitig verständlich und genderge-recht zu sein (vgl. Maaß 2020, S. 102f.).
Wenngleich die Herausforderung der Vereinbarung der gendergerechten Sprache mit der leichtverständlichen Sprache deutlich wird, gibt es auch andere Stimmen. Verso Dresden empfiehlt im internen Empfehlungswerk beispielsweise die Verwendung geschlechtergerechter Sprache in leichtverständlichen Texten, um den Adressat:innen einen Zugang zu gendergerechten Formulierungen zu ermöglichen.
Im Rahmen dieser Staatsexamensarbeit findet eine Auseinandersetzung über die Vereinbarkeit gendergerechter Sprache mit leichtverständlichen Texten statt, sie bezieht sich somit auf schriftliche Kommunikation. Dies begründet sich einerseits dadurch, dass die schriftliche Kommunikation von gendergerechter Sprache we-sentlich komplexer ist als die ebenjener mündlicher Formulierungen (vgl. Krome 2022, S. 92), andererseits steht dies mit der geplanten praktischen Erprobung in Zusammenhang, welche sich ebenfalls auf Texte bezieht.
Das Ziel der Arbeit besteht darin, zu untersuchen, welche Bedeutung eine ge-schlechtergerechte Sprache in Bezug auf die Verständlichkeit leichtverständlicher Texte hat und inwiefern eine Verknüpfung gendergerechter Formulierungen mit den Anforderungen leichtverständlicher Texte theoretisch und auch praktisch möglich ist.
Für die Arbeit sind folgende Fragestellungen zentral:
- Inwiefern ist es in der Theorie möglich, Texte gleichzeitig gendergerecht und leichtverständlich zu verfassen?
- Wie beurteilen Adressat:innen leichtverständlicher Texte die Verständlichkeit geschlechtergerechter Formen?
- Welche Form(en) der geschlechtergerechten Sprache sind für Adres-sat:innen leichtverständlicher Texte geeignet? Welche Form(en) stellen ei-ne zusätzliche Herausforderung beim Rezipieren von Texten dar?
- Wie akzeptieren und beurteilen sie die Verwendung geschlechtergerechter Sprache?
Die Beantwortung der Fragen erfolgt sowohl durch die Recherche entsprechender Literatur als auch durch eine praktische Untersuchung mit Adressat:innen leicht-verständlicher Texte. In der Untersuchung sollen die Adressat:innen Textausschnitte, die anhand der Kriterien von Verso zielgruppenorientiert verfasst wurden, auf ihre Verständlichkeit beurteilen und Fragen zur Thematik ‚geschlechtergerechte Sprache‘ beantworten. Daraus kann schlussendlich abgeleitet werden, inwiefern die theoretischen Grundlagen mit den Ergebnissen der praktischen Erprobung übereinstimmen.
Im Anschluss an die Einleitung wird die Thematik ‚geschlechtergerechte Sprache‘ untersucht, wobei zunächst eine Begriffsdefinition erfolgt und die Notwendigkeit gendergerechter Formulierungen ergründet wird. Zudem werden Möglichkeiten des Genderns aufgezeigt und hinsichtlich ihrer Vor- und Nachteile abgewogen, bevor auf Kritik und Lösungsvorschläge um den Diskurs eingegangen wird.
Das dritte Kapitel dieser Arbeit widmet sich der leichtverständlichen Sprache. Nach einer Definition werden hier die Abhängigkeitsvariablen der Verständlichkeit be-nannt, bevor die Leichte Sprache und das Verständlichkeitskonzept nach Verso vorgestellt werden. Außerdem wird auf Grundlage der theoretischen Ergebnisse nach einer Lösung für die Vereinbarung gendergerechter und leichtverständlicher Texte gesucht.
In Kapitel vier wird die praktische Untersuchung vorgestellt, welche im Rahmen dieser Arbeit durchgeführt wurde. Dazu werden Vorgehensweise und Methodik erläutert und in Rückbezug auf Literatur begründet. Weiterhin werden relevante Informationen der Durchführung dargelegt, bevor schlussendlich eine Analyse der Ergebnisse stattfindet und die Untersuchung ausgewertet wird.
Kapitel fünf stellt das Fazit der Arbeit dar.:1 Einleitung – Sprache als Barriere 3

2 Geschlechtergerechte Sprache 7
2.1 Definition und Notwendigkeit 7
2.2 Formen geschlechtergerechter Sprache 11
2.3 Kritik und Lösungsvorschläge 16

3 Sprachkomplexität als Barriere: (leicht-)verständliche Sprache? 19
3.1 Definition und Abhängigkeitsvariablen der Verständlichkeit 19
3.2 Verständlichkeitskonzepte für Texte – Barrierefreie Kommunikation 21
3.2.1 Leichte Sprache 21
3.2.2 Verständlichkeitskonzept nach Verso 24
3.3 Leichtverständlich und gendergerecht? 26

4 Praktische Erprobung mit Verso 29
4.1 Erläuterung des Vorhabens und Methodik 29
4.1.1 Die Textgrundlage der Untersuchung 29
4.1.2 Begründung der Methodik 32
4.1.3 Vorgehen bei der Erprobung 34
4.1.4 Der Zugang zur Stichprobe 37
4.2 Durchführung 38
4.3 Auswertung der Interviews 39

5 Fazit und Ausblick 55

Literaturverzeichnis 60

Anhang 65
1 Textübertragung anhand von Verso 65
2 Textabschnitte für die Untersuchung 70
3 Ablaufplan der Interviews 72
4 Transkripte der Interviews 74
5 Regeln des Gesprächsanalytischen Transkriptionssystems 2 165
6 Fallzusammenfassungen der Interviews 167
7 Definitionen der Kategorien der Analyse 171
8 Themenmatrix 175

Identiferoai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:83098
Date26 January 2023
CreatorsPreuss, Jasmin
ContributorsLasch, Alexander, Bergmann, Regina, Technische Universität Dresden
Source SetsHochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden
LanguageGerman
Detected LanguageGerman
Typeinfo:eu-repo/semantics/acceptedVersion, doc-type:masterThesis, info:eu-repo/semantics/masterThesis, doc-type:Text
Rightsinfo:eu-repo/semantics/openAccess

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