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Einsichtsfähigkeit bei Erkrankten mit Demenz bei Alzheimer-Krankheit oder verhaltensbetonter frontotemporaler Demenz

Hintergrund: Demenzerkrankungen gewinnen aufgrund der steigenden durchschnittlichen Lebenserwartung und der verbesserten somatischen Versorgung immer mehr an Bedeutung. Die Demenzerkrankten sind heute fitter und nehmen aktiv am alltäglichen Leben teil. Die hirnorganische Degeneration beeinflusst aber auch das soziale Miteinander und kann unter anderen delinquentes Verhalten zur Folge haben. Die empirischen Daten zeigen vermehrt Verkehrsdelikte und Gewalttaten bei Erkrankten mit Demenz bei Alzheimer-Krankheit (DAK). Die Diagnose verhaltensbetonte frontotemporaler Demenz (vbFTD) ist hingegen mit Diebstählen und sexueller Distanzlosigkeit assoziiert. Dieses Fehlverhalten zieht strafrechtliche Konsequenzen nach sich. Es stellt sich daher die Frage, ob die an einer der beiden Demenzformen Erkrankten schuldfähig sind.


Methoden: Die Einsichtsfähigkeit ist ein Teilaspekt der Schuldfähigkeit. Im ersten Schritt wird der juristische Term Einsichtsfähigkeit aus forensisch-psychiatrischer Sicht definiert und drei relevante Komponenten erarbeitet. Dazu zählen das Faktenwissen über Straftaten und deren Konsequenzen, die gesellschaftliche Bewertung von Straftaten und Verstößen gegen die soziale Etikette sowie die emotionale Motivation gemäß der Einsicht zu handeln. Im zweiten Schritt werden Messinstrumente zur Erfassung und Objektivierung der Kriterien auf Grundlage von Literaturrecherchen entwickelt. Im dritten Schritt werden die Messinstrumentarien an Erkrankten mit DAK und vbFTD sowie an einer gesunden Kontrollgruppe getestet. Die Rekrutierung der Testpersonen erfolgte an der Klinik für Psychiatrie und Psychosomatik des Universitätsklinikums Leipzig, der Tagesklinik für kognitiven Neurologie des Universitätsklinikums Leipzig sowie der Gedächtnisambulanz der Charité. Das Ziel der Untersuchung ist, die Ursachen für das vermehrte und veränderte strafrechtlich relevante Verhalten der Demenzerkrankten auf Grundlage der juristisch definierten Einsichtsfähigkeit zu analysieren, zu objektivieren und eine direkte Anwendbarkeit in einem forensischen Kontext zu ermöglichen.


Ergebnisse: Insgesamt konnten 48 Personen in der Studie berücksichtigt werden, wobei es sich um 27 Erkrankte, wovon 17 Personen an DAK und 10 Personen an vbFTD leiden, sowie 21 Personen ohne Demenzerkrankung handelt. Das Faktenwissen über Straftaten und deren Konsequenzen nimmt unabhängig von der Diagnose linear mit sinkender Punktzahl des MMST (p < 0,05) ab. Im Regressionsmodell zeigt die Diagnose vbFTD eine statistisch signifikante Abhängigkeit von der gesellschaftlichen Bewertung von Straftaten und Verstößen gegen die soziale Etikette (p < 0,001). Erkrankte mit vbFTD zeigen hierbei eine eingeschränkte Diskriminationsfähigkeit von Straftaten und Verstößen gegen die soziale Etikette. Zudem zeigen Erkrankte mit vbFTD eine verminderte emotionale Motivation (p = 0,051) einsichtig zu handeln.


Schlussfolgerung: Durch diese Studie konnten erstmals die Ursachen für das unterschiedliche delinquente Verhalten von Erkrankten mit DAK und vbFTD objektiviert werden. Die für die Studie entwickelten Messinstrumente sind auf Grundlage des deutschen Strafrechts konstruiert worden. Daher ist eine direkt Anwendung in der forensischen Psychiatrie beispielsweise beim Erstellen von forensisch-psychiatrischen Gutachten möglich. Allerdings sind weitere Studien erforderlich, um die Ergebnisse an größeren Stichproben zu verifizieren und die konstruierten Fragebögen zu validieren.:Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis 6
Zusammenfassung 9
1 Einleitung 11
2 Theoretischer Hintergrund 13
2.1 Einsichtsfähigkeit 13
2.1.1 Voraussetzung der Einsichtsfähigkeitsprüfung 13
2.1.2 Begriffsdefinition 14
2.1.2.1 Faktenwissen über Straftaten und ihre Konsequenzen 14
2.1.2.2 Gesellschaftliche Bewertung von Straftaten und Verstößen gegen soziale Etikette 15
2.1.2.3 Emotionale Motivation zur Einsicht 16
2.2 Alzheimer-Krankheit 20
2.2.1 Epidemiologie 20
2.2.2 Ätiologie 20
2.2.3 Pathophysiologie 21
2.2.4 Erkrankungsstadien 22
2.2.5 Diagnostik 23
2.2.5.1 Diagnosekriterien 23
2.2.5.2 Liquordiagnostik und bildgebende Verfahren 24
2.2.5.3 Histopathologie 24
2.2.5.4 Psychometrische Messinstrumente 25
2.2.6 Symptomvielfalt und strafrechtlich relevantes Verhalten 26
2.3 Verhaltensbetonte frontotemporale Demenz 29
2.3.1 Epidemiologie 29
2.3.2 Ätiologie und Pathophysiologie 29
2.3.3 Diagnostik 30
2.3.4 Symptomvielfalt 31
2.3.5 Strafrechtlich relevantes Verhalten 32
3 Einführung in die Hypothesenbildung und Zielsetzung 34
4 Hypothesen 36
5 Material und Methoden 37
5.1 Ein- und Ausschlusskriterien 37
5.2 Allgemeiner Ablauf der Studienuntersuchung 41
5.1 Operationalisierung und Untersuchungsmaterialien 42
5.2.1 Etablierte Messinstrumente 43
5.2.1.1 Mini-Mental-Status Test (MMST) 43
5.2.1.2 Uhrentest nach Shulmann 43
5.2.1.3 „Delinquentes Verhalten“ für Angehörige und Pflegende nach Diehl et al. 2006 43
5.2.2 Eigene Messinstrumente 44
5.2.2.1 Interview zum Faktenwissen über Straftaten und deren Konsequenzen (IFaSK) 44
5.2.2.2 Analyse der gesellschaftlichen Bewertung von Straftaten und Verstößen gegen soziale Etikette (ABSE) 45
5.2.2.3 Interview zur emotionalen Motivation zur Einsicht (IEME) 46
5.2.2.4 Eigenanamnese zum strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen (EsV) 47
5.3 Beschreibung der Stichprobe 48
6 Ergebnisse 50
6.1 Deskriptive Befunde 50
6.1.1 Eigen- und fremdanamnestisch berichtetes strafrechtlich relevantes Verhalten 50
6.1.2 Wiederholtes Auftreten strafrechtlich relevanten Verhaltens 51
6.1.3 Diversität des strafrechtlich relevanten Verhaltens 52
6.1.4 Detailbeschreibung der Straftaten 55
6.1.4.1 Diebstahl 56
6.1.4.2 Distanzloses Verhalten 58
6.1.4.3 Verkehrsdelikte 59
6.1.4.4 Sachbeschädigung 59
6.1.4.5 Einbruch und Hausfriedensbruch 60
6.1.4.6 Bedrohung 61
6.1.4.7 Weiteres strafrechtlich relevantes Verhalten 61
6.1.4.8 Konsequenzen und Schadenshöhe 61
6.1.4.9 Verhalten bei Konfrontation, Straftaten vor Erkrankungsbeginn 62
6.1.4.10 Fremdanamnestische Einsichtsfähigkeit bei Erkrankten mit strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen 63
6.2 Einsichtsfähigkeit 64
6.2.1 Faktenwissen über Straftaten und ihre Konsequenzen 64
6.2.2 Gesellschaftliche Bewertung von Straftaten und Verstößen gegen soziale Etikette 65
6.2.3 Emotionale Motivation zur Einsicht 71
6.3 Zusammenfassung der Ergebnisse 74
7 Diskussion 76
7.1 Stichprobendiskussion 76
7.2 Diskussion der strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen 78
7.3 Einsichtsfähigkeit 80
7.3.1 Faktenwissen über Straftaten und ihre Konsequenzen 80
7.3.2 Gesellschaftliche Bewertung von Straftaten und Verstößen gegen soziale Etikette 80
7.3.3 Emotionale Motivation zum einsichtigen Handeln 85
7.3.4 Methodendiskussion 87
7.3.5 Schlussfolgerung und Ausblick 87
8 Literaturverzeichnis 90
9 Tabellenverzeichnis 99
10 Anlagen 101
10.1 Tabellen 102
10.2 Ethikantrag 105
10.3 Messinstrumente 107
10.3.1 Datenblatt 107
10.3.2 Fragebogen „Delinquentes Verhalten“ für Angehörige/ Pflegende (nach Diehl 2006) 108
10.3.3 Interview zum Faktenwissen über Straftaten und deren Konsequenzen (IFaSK) 114
10.3.4 Analyse der gesellschaftlichen Bewertung von Straftaten und Verstößen gegen die soziale Etikette (ABSE) 115
10.3.5 Interview zur emotionalen Motivation zum einsichtigen Handeln (IeMeH) 117
10.3.6 Interview zum eigenanamnestisch strafrechtlich relevanten Verhalten (IESV) 118
10.4 Syntax der Datenauswertung 119
10.5 Sexuelle Distanzlosigkeit bei vbFTD am Beispiel Patientengedicht 143
11 Erklärung über die eigenständige Abfassung der Arbeit 144
12 Danksagung 145

Identiferoai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:34382
Date02 July 2019
CreatorsBrockstedt, Lavinia Alma
ContributorsUniversität Leipzig
Source SetsHochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden
LanguageGerman
Detected LanguageGerman
Typeinfo:eu-repo/semantics/updatedVersion, doc-type:doctoralThesis, info:eu-repo/semantics/doctoralThesis, doc-type:Text
Rightsinfo:eu-repo/semantics/openAccess
Relationurn:nbn:de:bsz:15-qucosa2-343700, qucosa:34370, qucosa:34370

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