Die Akteure auf dem kulturellen Feld in Estland fanden sich nach dem politischen Umbruch in 1991 in einer neuen Situation wieder, in der Fragen des eigenen Status, der Existenz-grundlagen, der Erfolgskategorien und –aussichten, der räumlich-kulturellen und ästhetischen Referenzkategorien neu verhandelt werden mussten, was auch die kulturpolitischen Entwick-lungen bedingte und beeinflusste. Die Voraussetzungen dafür haben sich je nach kulturellem Gebiet unterschieden. Nach der politischen Wende standen Akteure auf dem kulturellen Feld vor Herausforderungen im Spannungsfeld zwischen traditionsbezogenen Hierarchien inner-halb der Nationalkultur und den aufstrebenden Innovationsimpulsen im Kulturbetrieb, wobei diese häufig einen transnationalen Hintergrund haben.
Statt einer linearen Übernahme von vorhandenen oder gegebenen politischen Mustern ging mit den Reaktionen auf die festgestellten Defizite im kulturellen Leben in Estland in den analysierten Fällen meistens ein bewusst gesetzter europäischer Vorbildanspruch der handeln-den Akteure einher. Defizite aufzuholen war nicht ausreichend, man wollte oftmals neue Maßstäbe setzen. Der lokale Entwicklungsprozess wurde produktiv zur aktiven Beteiligung an kulturpolitischen oder auch künstlerischen Aushandlungen auf der europäischen Ebene genutzt.
Die lokale und europäische Wirkung einer transnationalen künstlerischen Perspektive wird durch die Analyse des Agierens des Theaters NO99, der freien Kuratorin und Museums-direktorin Rael Artel, sowie des Black Nights Filmfestivals deutlich. Anhand der Förder-tätigkeit des Kultuurkapital werden die Entwicklung und die geographischen Bezüge der transnationalen Mobilität der estnischen Kulturschaffenden in der Perspektive von 20 Jahren sichtbar. Prozesse der Förderung der Kultur- und Kreativwirtschaft und die inklusive Gestaltung des neuen staatlichen Grundsatzpapiers „Kultuur 2020“ stehen für kulturpolitische Innovationen in lokaler und europäischer Perspektive. Die Umsetzung des Projekts Tallinn 2011 – Kulturhauptstadt Europas als einer identitäts- und imagebildenden Initiative zwischen europäischer und lokaler Aufgabenstellung zeigt auf der europäischen, grenzüberschreitenden regionalen, nationalen und städtischen Ebene einen gemeinsamen Lernprozess, der gleicher-maßen von Veränderungen und Kontinuitäten des Formats der europäischen Kulturhaupt-städte und von planungs- und kommunikationstechnischen Missverständnissen und Brüchen gekennzeichnet war.:Inhaltsverzeichnis
Einleitung 6
„Europa“ als Referenzraum, Ziel und Trauma 6
Praktische Herausforderungen der Umorientierung 11
Forschungsfragen und Forschungsdesign 18
KAPITEL I: KULTURPOLITISCHE AKTEURE IM LERNPROZESS UND KULTURPOLITISCHE FELDER IM WANDEL 27
1.1 Estland als Theaternation 27
1.1.1 Traditionen und neue Vielfalt. Institutionelle Anschlüsse und Kontinuitäten, neue organisatorische und künstlerische Formen 27
1.1.2 Theater NO99: Europäischer Kult und Imperativ der Superlative 41
1.2 Film in Estland: Positionskämpfe in der Hierarchie der estnischen Kulturpolitik 55
1.2.1 Estnischer Film – der „ewige Einzelgänger“? 55
1.2.2 PÖFF – von lokaler Verzweiflung zum rotem Teppich für den Europäischen Film 62
1.2.2.1 Strategie: geographische Fokussierung, Struktur, Programm 64
Exkurs 1: Dem Norden verbunden, dem Norden zugehörig 67
Exkurs 2: Ein „kleiner Riese“. Das Phänomen des estnischen Animationsfilms 69
1.2.2.2 Transnationale Netzwerke und vermittelnde Akteure 71
1.2.2.3 Eine europäische Film-Gala in Tallinn 76
1.2.2.4 Ausblick 77
1.3 Museumsdirektorin in der europäischen Peripherie: Rael Artel 80
1.3.1 Bildende Kunst: Strukturschwäche, Finanzierungsnöte, Generationskonflikte und Genrerivalitäten 80
1.3.2 Rael Artel: Eine umstrittene „Übernahme“ in der Provinz 91
1.2.3.1 Mobilitätserfahrung und Randposition 92
1.2.3.2 Tartu und Museum transnational denken 102
KAPITEL II: KULTURPOLITISCHE PROZESSE UND MASSNAHMENBEISPIELE 114
2.1 Kultuurkapital als Lernanstalt und Lernmedium 114
2.1.1 Die gute alte Zeit: Wiederaufbau von Kultuurkapital 114
2.1.1.1 „KULtuur on KAllis“ – 90 Jahre Kultuurkapital 114
2.1.1.2 Meisterkurs für Antragsteller, Geldverteiler und staatliche Administration 120
2.1.2 Kultuurkapital als Katalysator des Kulturtransfers von 1994-2014 135
2.1.2.1 Alle fahren nach Avignon oder Kultuurkapital als Reisebüro der Schauspieler? 138
2.1.2.2 Entwicklung und räumliche Bezüge der Kulturtransferansätze 140
2.1.2.3 Die Bereiche Musik, Theater und Kunst im Vergleich 151
2.2 Ein Beispiel für Europa – Kreativ- und Kulturwirtschaft in Estland 165
2.2.1 Estlands Erfolgsgeschichte: Von null auf hundert? 171
2.2.1.1 Fortschritt durch Kreativität: Alle gewinnen! 171
2.2.1.2 Erklärungsnyancen, Terrains 176
2.2.1.3 Entwicklungsdynamiken: Statistik, Infrastruktur, Korrektur 185
2.2.2 Estlands imagefördernder Einsatz für Europa 198
2.3 „Kultuur 2020“ – Neue Leitlinien für die estnische Kulturpolitik 207
2.3.1 Ausgangs- und Motivationslagen 208
2.3.2 Wie packen wir es an? Transparenz, Pfadtreue und bürokratische Techniken 218
2.3.3 Fazit: Optimisten, Pessimisten und die Nachhaltigkeit 227
KAPITEL III: TALLINN 2011 – KULTURHAUPTSTADT EUROPAS 230
3.1 Ein erfolgreiches Kulturhauptstadtprojekt als 'mission impossible'? 233
3.1.1 Interne und externe Rahmenbedingungen 239
3.1.1.1 Das Orchester spielt, an der Partitur wird noch geschrieben 239
3.1.1.2 Mehrfachadressierung der Kommunikation und „ECoC-Sprachetiketten“ 240
3.1.1.3 Kulturpolitische V oraussetzungen 241
3.1.1.4 Projektphasenbedingte Veränderungen der Managementprofile 244
3.1.1.5 Globale Finanzkrise und politischer Wahlkampf 244
3.1.2 Eine Initiative zwischen europäischer und lokaler Aufgabenstellung – ein Widerspruch? 247
3.1.2.1 Die geschichtliche Motivation der Formatveränderungen 248
3.1.2.2 Die (Er)Findung der „Europäischen Dimension“ 252
3. 2 Tallinn 2011 – vom „Everlasting Farytale“ zu den „Stories of the Seashore“ 257
3.2.1 Die Bewerbungsphase oder wie fängt man an? 257
3.2.1.1 Strategische Aufstellung in der Bewerbungsphase 257
3.2.1.2 Missverständnisse in Brüssel 262
3.2.1.3 Die Visionen und Zielsetzungen in Tallinns Bewerbung 267
3.2.2 Die Stiftung Tallinn 2011 – Vorbereitung und Umsetzung des Projekts 273
3.2.2.1 Die zentralen Herausforderungen der Umsetzung des Kulturhauptstadtprojekts 275
3.2.2.2 Vertrauensprobleme auf der Leitungsebene der Stiftung 277
3.2.2.3 Der Streitfall Budget 280
3.2.2.4 ECoC-Netzwerk und regionale Zusammenarbeit 286
3.2.2.5 Das strukturelle Design des Umsetzungsprozesses 294
3.2.2.6 Programmgestaltung und die neue „tragende Idee“ 298
3.2.3 Die Perspektive der Kulturakteure – Routine und Leistungsgrenzen 303
3.2.3.1 Selbstbezogenheit 304
3.2.3.2 Eroberung des öffentlichen Raums 305
3.2.3.3 Ungewohnter Koordinationsrahmen und außerordentliches Projektmanagement 306
3.3 Fazit oder die Frage nach Nachhaltigkeit 311
Zusammenfassung und Ausblick 313
Literaturverzeichnis 322
Quellenverzeichnis 328
Abbildungsverzeichnis 351
Identifer | oai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:74951 |
Date | 21 May 2021 |
Creators | Meisterson, Heli |
Source Sets | Hochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden |
Language | German |
Detected Language | German |
Type | info:eu-repo/semantics/acceptedVersion, doc-type:doctoralThesis, info:eu-repo/semantics/doctoralThesis, doc-type:Text |
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