Spinoza hat durch die mathematische Form, in der er sein Hauptwerk, die ''Ethica'', abfaßte, der in seiner Zeit viel bedachten, aber kaum diskutierten Frage der philosophischen Methode einen Angriffspunkt gegeben. Sehr zum Nachteil für seine Lehre, denn schon in der zeitgenössischen Rezeption bildete sich das später (bei Christian Wolff beispielsweise) herrschende Urteil, in der ''Ethica'' würden atheistische Thesen unter dem Schutz einer exakten Methode für wahr ausgegeben. Die Widerlegungen des Spinozismus bemühten sich demzufolge entweder auf dem Feld der Beweise und Voraussetzungen um den Nachweis der Fehlerhaftigkeit oder sie hielten die Argumentation für unangreifbar und schten den atheistischen Charakter einzelner Lehrsätze aufzuzeigen. Beide Verfahren der
Zurückweisung des Spinozismus basierten auf der Unanfechtbarkeit des methodischen Ideals (das man in einem Fall für falsch angewendet, im anderen für unwiderleglich durchgeführt sah). Spinozas Philosophie ist in der Tat (nicht nur der äußeren Form der Ethica nach) mit dem Problem der philosophischen Methode beschäftigt, wie es die Schrift aus den frühen sechziger Jahren, der ''Tractatus de intellectus emendatione'', beweist. Dort findet sich eine allgemeine Theorie der Methode als Philosophie. Spinoza thematisiert die Idee der Methode und deren Form also von Beginn an auf einer anderen Ebene als zu seiner Zeit etwa Descartes, Pascal, Hobbes oder die Autoren der ''Logique de Port-Royal'', Arnauld und Nicole. Jene haben die philosophische Methode mit den Verfahren der Analyse und Synthese (Descartes), oder unter logischen und rhetorischen Gesichtspunkten (Pascal) diskutiert, beziehungsweise beide Standpunkte beisammen
abgehandelt (Arnauld und Nicole). Einzig Hobbes kommt mit seinem Entwurf eines Wissenschaftssystems mit mathematischer Ordnung
dem Ideal Spinozas nahe. Den historischen Kontext, wie er hier kurz skizziert ist, nimmt die folgende Unternsuchung zum Anlaß, sich eingehend mit dem Problem der Methode in der Philosophie Spinozas
zu beschäftigen. Sie berücksichtigt dazu vor allem den unvollendeten ''Tractatus''. Von dessen Definitionslehre nimmt sie ihren Ausgang, weil diese als Kernstück der Methodologie eine Frage aufwirft, deren Lösung Spinoza in der ''Ethica'' versucht. Zudem ist Spinozas Theorie der
Definition noch nicht zusammenhängend erläutert worden. Die ''Überständigkeit'' der im ''Tractatus'' formulierten Frage (einer philosophischen Methode), der auch die Erkenntnistheorie der ''Ethica'' keine endgültige Antwort gibt, lenkt die Untersuchung zum Abschluß auf eine Erklärung des mos geometricus, dessen philosophische Relevanz erst vor dem Hintergrund des ursprünglich methodologischen Problems erkennbar werden kann.
Identifer | oai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:13348 |
Date | 15 June 2015 |
Creators | Schneider, Ulrich Johannes |
Publisher | Steiner |
Source Sets | Hochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden |
Language | German |
Detected Language | German |
Type | info:eu-repo/semantics/publishedVersion, doc-type:article, info:eu-repo/semantics/article, doc-type:Text |
Source | Studia Leibnitiana : StL ; Zeitschrift für Geschichte der Philosophie und der Wissenschaften 1981, 13 (2), S. 212 - 241 |
Rights | info:eu-repo/semantics/openAccess |
Relation | urn:nbn:de:bsz:15-qucosa2-776112, qucosa:77611 |
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