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Natürliche Waldentwicklung unter dem Einfluss des Borkenkäfers im Nationalpark Berchtesgaden / Bestandesstruktur und Biodiversität im Verlauf von Störung und Sukzession / Natural forest dynamics following bark beetle outbreaks in the Berchtesgaden National Park / Forest structure and biodiversity during disturbance and successionWinter, Maria-Barbara 17 June 2016 (has links)
Störungen sind ein integraler Bestandteil von Waldökosystemen. Von einzelbaumweiser Seneszenz bis hin zu großflächigem Windwurf, Waldbrand oder Insektenbefall prägen sie natürlicherweise Artenzusammensetzung, Generationswechsel und Verjüngungsprozesse von Waldbeständen. Aufgrund wirtschaftsbedingt hoher Anteile an sekundären reinen Nadelholzbeständen und sich ändernden klimatischen Bedingungen ist der Einfluss großflächiger Störungen im letzten Jahrhundert in Mitteleuropa angestiegen und wird vermutlich auch zukünftig weiter an Bedeutung gewinnen. Das ökosystemare Verständnis über die Wirkung dieser Störungsereignisse auf Artenzusammensetzung und natürliche Waldentwicklung ist wesentlich für eine nachhaltige Waldbewirtschaftung. Im Wirtschaftswald kann der Einfluss natürlicher Störungen aufgrund stetiger Einflussnahme durch Räumung, Pflanzung und Durchforstungen schwerlich untersucht werden. Großflächige Schutzgebiete mit dem Prozessschutz dienenden unbewirtschafteten Kernzonen bieten hingegen diese Möglichkeit.
Am Beispiel des Nationalparks Berchtesgaden im südlichen Oberbayern (Deutschland) wurde daher exemplarisch für die Nördlichen Kalkalpen die natürliche Waldentwicklung unter dem Einfluss des Borkenkäfers und die Veränderungen von Bestandesstrukturen und Biodiversität im Verlauf von Störung und Sukzession untersucht. Durch den großen Holzbedarf der regional ansässigen Salinenindustrie ab dem 16. Jahrhundert, der jahrhundertelangen Kahlschlagswirtschaft und den hohen Wilddichten im Bayerischen Hofjagdgebiet wurden die natürlicherweise in den montane Lagen stockenden Bergmischwälder aus Europäischer Buche, Weißtanne und Gemeiner Fichte in überwiegend reine, sekundäre Fichtenwälder umgewandelt. Seit Einrichtung des Nationalparks Berchtesgaden 1978 kam es besonders nach den Winterstürmen Vivian/Wiebcke 1990 und Kyrill 2007 zu stärkerem Borkenkäferbefall. Luftbildauswertungen belegen ein zerstreutes und eher kleinflächiges Befallsgeschehen außerhalb des Maßnahmenbereichs Borkenkäferbekämpfung. Mittlere Befallsflächengrößen lagen bei 0,07 ha (1990-1997) und 0,29 ha (2007-2012); die Gesamtbefallsflächen betrugen 30 ha (1990-1997) und 260 ha (2007-2012). Mit der Methodik einer unechten Zeitreihe konnte auf 140 Probeflächen die Entwicklung unbefallener Fichtenaltbestände über das beginnende frühsukzessionale Stadium (1-5 Jahre nach Borkenkäferbefall) hin zum fortgeschrittenen frühsukzessionalen Stadium (17-25 Jahre nach Borkenkäferbefall) von montaner bis subalpiner Höhenstufe in sonn- und schattseitigen Lagen erfasst werden.
Das Absterben der Fichtenaltbestände durch den Borkenkäferbefall führte zu einer signifikanten Reduktion der Bestandesvolumina und der Kronenüberschirmung auf den Befallsflächen bei gleichzeitig massiver Zunahme an stehendem Totholz. Erhebliche Anteile des stehenden Totholzes brachen bei fortschreitender Zersetzung im Verlauf der untersuchten etwa 20-jährigen Sukzession zusammen. Humusabbau und signifikante Veränderungen des Mesoklimas durch die Störung waren nicht nachzuweisen. Die durch das Absterben des Kronendachs erhöhten Anteile an direkter Strahlung am Waldboden führten zu einer zunehmenden Deckung und Höhe der Bodenvegetation.
Trotz der verstärkten Konkurrenzsituation mit der Bodenvegetation kam es, besonders in montaner Lage, zu einer zügigen Verjüngung der Befallsflächen mit Jungwuchsdichten von im Median rund 5.000 Pflanzen > 50 cm Höhe und weiteren etwa 5.000 Pflanzen < 50 cm Höhe pro Hektar, zwei Jahrzehnte nach dem Borkenkäferbefall. Hochmontan war diese Entwicklung verzögert zu beobachten. Hier nahm Bedeutung des Totholzes als Keim- und Wuchssubstrat mit zunehmender Zersetzung zu. Der Jungwuchs wurde von Gemeiner Fichte, Bergahorn und Vogelbeere dominiert. Die natürlichen Hauptbaumarten des Bergmischwaldes – Europäische Buche und Weißtanne – fehlten jedoch aufgrund der historischen Bewirtschaftung und mangelnden Samenbäumen auch im Jungwuchs weitgehend. Die Störung führte unter anderem durch das räumlich unregelmäßige Aufkommen des Jungwuchses zu einer erhöhten strukturellen Heterogenität auf Bestandes- und Landschaftsebene. Entgegen der Erwartungen spielte die Vorausverjüngung für die Verjüngung nach dem Störungsereignis eine vernachlässigbar geringe Rolle. Mehr als 90 % der Jungwuchsindividuen waren nach dem Störungsereignis gekeimt und bestätigten damit eine große Resilienz der Bergwälder nach mittelgroßen Störungsereignissen unter der Voraussetzung angepasster Schalenwildbestände.
Bei den untersuchten epigäischen Artengruppen waren keine Veränderungen (Käfer, Spinnentiere, Mollusken), bzw. ein Rückgang der Artenvielfalt (Springschwänze) aufgrund fehlender Streunachlieferung nach der Störung zu beobachten. Die licht-, nährstoff- und totholzbedürftigen Arten profitierten hingegen von den temporären Lückenbedingungen und reagierten überwiegend mit einem Anstieg der Artenvielfalt im Verlauf der Sukzession. Dieser Anstieg war auch zwei Jahrzehnte nach dem Störungsereignis trotz zunehmender Verjüngungsdichten noch zu beobachten. Dies verdeutlicht die Relevanz von sich langsam schließenden Bestandesöffnungen für eine vollständige Entwicklung der Biodiversität heliophiler Artengruppen in Waldökosystemen. Durch das Mosaik verschiedener, kleinräumig verbreiteter Sukzessionsstadien auf Landschaftsebene zeigten besonders die totholzbesiedelnden Pilze und Käfer eine hohe Gamma-Diversität im Gebiet. Die Artengemeinschaften der Gefäßpflanzen ähnelten sich hingegen stark in ihrer Artenzusammensetzung in den drei untersuchten Sukzessionsstadien und zeichneten sich mehr durch eine Verschiebung der Dominanzverhältnisse aus.
Räumung und Pflanzung auf Befallsflächen innerhalb des Maßnahmenbereichs Borkenkäferbekämpfung führten im Vergleich zu den unbehandelten Befallsflächen nicht zu einer Erhöhung der Jungwuchsdichten im beginnenden frühsukzessionalen Stadium, aber zu einer Steigerung der Anteile an Weißtanne und Europäischer Buche im Jungwuchs. Mollusken, Wanzen und bestäubende Käferarten reagierten auf die tendenziell höheren Strahlungsmengen am Waldboden und zeigten höhere Artenzahlen auf den geräumten Flächen. Zeitgleich veränderte die Räumung des befallenen Totholzes die Artenzusammensetzung vieler der untersuchten Artengruppen und reduzierte die Artenvielfalt der xylobionten Käfer.
Der forstlichen und naturschutzfachlichen Praxis wird aus den Ergebnissen dieser Untersuchung heraus empfohlen, die durch natürlichen Störungen entstandenen Lücken und Strukturen zu nutzen, um den Erhalt von licht-, nährstoff- und totholzbedürftigen Artengruppen zu fördern und, soweit aus Gründen des Lawinen- und Forstschutzes möglich, auf Räumung und direkte Bepflanzung der Flächen zu verzichten. Wo es das Ziel ist, die natürliche Baumartenzusammensetzung der Bergmischwälder kurzfristig wieder herzustellen, müssen Buche und Tanne bei einem Mangel an Samenbäumen künstlich eingebracht werden. Ansonsten weisen die im Gebiet stockenden Bergwälder unter der Voraussetzung angepasster Wildbestände bei mittelgroßen Störungsereignissen eine große Resilienz auf und lassen ein Schließen der Bestandeslücken durch Naturverjüngung erwarten.
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