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Überprüfung und Erweiterung eines multifaktoriellen Modells zur Erklärung der Genese von Krankheitseinsicht bei Schizophrenie / Testing and extending a multifactor model of insight formation in schizophreniaPruß, Linda 13 December 2013 (has links)
Hintergrund: Mangelnde Krankheitseinsicht bei Schizophrenie ist ein verbreitetes Phänomen, dessen Zusammenhänge mit Outcome-Maßen wie Krankheitsverlauf, Funktionsniveau und Lebensqualität vielfach belegt sind. Trotz vieler unterschiedlicher Ansätze zur Erklärung der Entstehung von Krankheitseinsicht ist sie bisher nur unzureichend verstanden. Obwohl angenommen wird, dass verschiedene Faktoren wie kognitive und motivationale Voraussetzungen Einsicht limitieren können, stehen die Identifikation von spezifischen Einflussgrößen sowie die empirische Überprüfung distinkter Prozesse und deren Wirkgefüges aus. Die Integration unterschiedlicher Ansätze in mehrfaktorielle Modelle, wie Startup (1996) nahe legt, gilt als vielversprechend. Diese sollten insbesondere vermutete motivationale Einflussgrößen enthalten, die bisher nur unzulänglich berücksichtigt wurden. Methoden: Es wurden drei empirische Studien zur Überprüfung und Erweiterung des multifaktoriellen Ansatzes von Startup (1996) zur Erklärung mangelnder Krankheitseinsicht (G12 aus der Positive and Negative Syndrome Scale [PANSS]: Kay, Fiszbein & Opler, 1987) durchgeführt. An großen heterogenen Stichproben (N = 248; N = 111; N = 95) wurden zunächst das Regressionsmodell nach Startup (1996) sowie die dort implizierten Einsichts-subtypen überprüft. Zweitens wurden zur Vorhersage von Einsicht (Scale to Assess Unawareness of Mental Disorder [SUMD]: Amador & Strauss, 1990) schrittweise soziodemographische, klinische (PANSS) und kognitive Maße (Wisconsin Card Sorting Test [WCST]: Heaton, Chelune, Talley, Kay & Curtiss, 1993) sowie Stigmatisierung (Self-Stigma of Mental Illness Scale [SSMIS]: Corrigan, Watson & Barr, 2006) als ein Maß motivational relevanter Einflüsse in ein multiples Regressionsmodell eingefügt. Zur Charakterisierung unterschiedlicher Einsichts-Subgruppen wurden diese drittens anhand von soziodemographischen, klinischen und kognitiven Variablen sowie zusätzlich durch subjektive Krankheitskonzepte (Illness Perception Questionnaire for Schizophrenia [IPQS]: Lobban, Barrowclough & Jones, 2005) vorhergesagt. Ergebnisse: Der von Startup (1996) berichtete kurvilineare Zusammenhang zwischen Einsicht und Neurokognition wurde regressionsanalytisch bestätigt. Die Varianzaufklärung der Einsicht durch neurokognitive Maße fiel jedoch eher gering (R2 = .052) aus. Durch das Hinzufügen einer Stigmatisierungsvariable (Zustimmung der Patienten zu negativen schizophreniespezifischen Stereotypen) in das Regressionsmodell wurde die Varianzaufklärung signifikant, aber schwach verbessert (ΔR2 = .049). Je mehr die Patienten den negativen Stereotypen zustimmten, desto uneinsichtiger waren sie. Es konnten außerdem drei Einsichtssubgruppen identifiziert werden: eine Gruppe ohne Einsichts- und Kognitionseinschränkungen, eine mit Defiziten in beiden Bereichen und eine Gruppe, die trotz intakten kognitiven Vermögens mangelnde Einsicht vorwies (17 - 30 %). Zur multinomialen Vorher-sage der letztgenannten Subgruppe trugen insbesondere die subjektiven Bewertungen zur Kontrollierbarkeit und zur eigenen emotionalen Reaktion signifikant bei (R²N = .56). Patienten, die die eigene Erkrankung für weniger kontrollierbar und stärker emotional relevant hielten, hatten niedrigere Einsichts-Scores. Diskussion: Die vorliegende Arbeit gilt als Beleg für die Existenz unterschiedlicher einsichtslimitierender Prozesse und ergänzt damit bisherige, überwiegend monokausale Ansätze zur Erklärung der Genese mangelnder Krankheitseinsicht. Die Bedeutung kognitiver Defizite scheint für einen Teil der Patienten evident. Darüber hinaus wurde für einen substantiellen Anteil an Patienten auch die Annahme motivierter Uneinsichtigkeit gestützt. Erstmalig wurden spezifisch mit motivational reduzierter Einsicht assoziierte Faktoren aufgedeckt: die stärkere Zustimmung zu negativen Stereotypen als Hinweis auf Stigmatisierungsprozesse, geringere wahrgenommene Kontrollierbarkeit der eigenen Erkrankung und eine stärkere emotionale Reaktion auf die Erkrankung. Es wird angenommen, dass verringerte Einsicht die Bedeutung dieser negativen Kognitionen (z. B. zur Kontrollierbarkeit, zur emotionalen Bedeutung oder zu Stereotypen wie Gewalttätigkeit) reduzieren kann, da diese wegen der Uneinsichtigkeit nicht auf die eigene Person übertragen werden. Der Mangel an Einsicht könnte daher auch einen Selbstschutz darstellen. In Bezug auf therapeutische Interventionen erscheinen kognitive Trainings folglich nur für einige Patienten sinnvoll, während für andere eher motivierende und an den subjektiven Einstellungen und Bewertungen ansetzende Behandlungsmaßnahmen zu berücksichtigen sind. Dafür bieten sich insbesondere moderne kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlungsansätze wie Motivational Interviewing oder Methoden der kognitiven Umstrukturierung an. Die Entwicklung und Integration einsichtsspezifischer Interventionen, für die aus der vorliegenden Arbeit Ansatzpunkte ableitbar sind, wird darüber hinaus empfohlen.
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