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Anomalieresolution bei abduktivem Schließen: Experimente zur Hypothesenbildung und Strategieauswahl beim Problemlösen

Das Finden einer Erklärung für eine gegebene Menge von Daten oder Evidenzen wird als abduktives Schließen bezeichnet (Josephson & Josephson, 1994). Eine Vielzahl von Aufgaben lässt sich demnach als Abduktion charakterisieren, darunter beispielsweise medizinische Diagnose, die Suche nach Fehlern in technischen Systemen oder auch wissenschaftliches Entdecken (z.B. Charniak & McDermott, 1985). Für viele dieser Aufgaben ist der Umgang mit Anomalien von besonderer Bedeutung. Eine Anomalie ist im einfachsten Falle eine neue Evidenz, die einer bisherigen Erklärung für Daten widerspricht. Vor allem im Bereich des wissenschaftlichen Entdeckens weist eine Vielzahl von Studien darauf hin, wie wichtig das Erkennen und Lösen von Anomalien für erfolgreiches Problemlösen ist (vgl. Kuhn, 1962; Chinn & Brewer, 1998; Alberdi, Sleeman & Korpi, 2000). Die meisten Theorien abduktiven Schließens berücksichtigen die Bedeutung von Anomalien dagegen nur unzureichend (vgl. Klahr & Dunbar, 1988; Thagrad, 1989). Allerdings bietet das Modell von Johnson und Krems (2001, Krems & Johnson, 1995) einen spezifischen Mechanismus zur Anomalieresolution: Im Falle zweier sich widersprechender Evidenzen wird für beide Evidenzen eine Alternativerklärung konstruiert. Anschließend werden diese gegeneinander abgewogen. Indes wurde dieser Mechanismus bislang noch nicht empirisch belegt. Ziel der vorliegenden Arbeit war es einerseits zu klären, ob sich empirische Belege für den postulierten Mechanismus zur Anomalieresolution von Johnson und Krems (2001) finden lassen und andererseits zu prüfen, welche Einflussfaktoren und Strategien die Resolution von Anomalien beeinflussen. Es
fand sich, dass abstrakte Ausgangshypothesen die Resolution von Anomalien erleichtern. Widersprach eine Anomalie einer abstrakten Ausgangserklärung, so lösten die Versuchsteilnehmer in Experiment 1 die Aufgaben häufiger, als bei einer konkreten Ausgangshypothese. In Experiment 2 zeigte sich zudem, dass bei einer abstrakten Ausgangshypothese weniger Experimente durchgeführt werden mussten um die Aufgabe korrekt zu lösen, dass häufiger spezifische Hypothesentests durchgeführt wurden und die Aufgaben auch schneller gelöst werden konnten. Unabhängig von der Ausgangshypothese testeten erfolgreiche Versuchsteilnehmer bevorzugt spezifische Hypothesen während hypothesenfreie Experimente dazu dienten, neue Hypothesen zu generieren. Demnach lösten die Probanden die Aufgaben durch Anwendung einer Mischstrategie, indem sie sowohl hypothesengestützt als auch hypothesenfrei nach neuen Daten suchten. Eine Einteilung der Versuchsteilnehmer in Theoretiker und Empiristen (Klahr & Dunbar, 1988) war dagegen nicht möglich. Das Ergebnis wurde in Anlehnung an Befunde von Smith et al. (1991) dahingehend interpretiert, dass eine solche Mischstrategie dabei hilft, die Komplexität der abduktiven Aufgabe zu reduzieren. Nicht bestätigt werden konnte in den Experimenten 2 und 3 die Modellvorhersage von Johnson und Krems (2001), dass die Versuchspersonen zwei Alternativerklärungen für die widersprechenden Evidenzen generieren um diese anschließend gegeneinander abzuwägen. Es wurde von den Probanden nur eine Alternativerklärung generiert, in Abhängigkeit davon, ob die an der Anomalie beteiligten Evidenzen kontextsensitiv oder kontextfrei erklärbar waren. Unter kontextsensitiven Evidenzen versteht man solche Evidenzen, die zu ihrer Erklärung auf andere Evidenzen angewiesen sind. Dagegen können kontextfrei erklärbare Evidenzen unmittelbar und ohne Einbeziehung des Kontextes erklärt werden. War eine kontextsensitive Evidenz an der Anomalie beteiligt, entweder als anomalieauslösende Evidenz oder als widersprochene Evidenz, so wurde immer diese alternativ erklärt. Waren dagegen beide an der Anomalie beteiligten Evidenzen kontextfrei erklärbar, so wurde nur für die anomalieauslösende Evidenz eine Alternativerklärung generiert.
Zusammenfassend belegen die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit die Bedeutung unterschiedlicher Hypothesentypen bei der Anomalieresolution. Abstrakte Ausgangshypothesen erleichtern nach Anomalieeintritt den Wechsel zu alternativen Hypothesen. Ist an der Anomalie eine kontextsensitive Evidenz beteiligt, wird diese bevorzugt alternativ erklärt. Im anderen Falle wird immer die anomalieauslösende Evidenz alternativ erklärt. Weiterhin zeigen die Ergebnisse, dass im Gegensatz zu dem von Johnson und Krems postulierten Mechanismus, menschliche Problemlöser bei der Anomalieresolution keine Optimierungs-strategie anwenden, sondern minimumsorientiert nach nur einer Alternativ-erklärung suchen und anschließend die Suche abbrechen (vgl. Gigerenzer & Selten, 2000). Dagegen fand sich als bevorzugte Strategie erfolgreicher Problem-löser das Testen spezifischer Hypothesen sowie hypothesenfreie Experimente zur Generierung von neuen Hypothesen.

Identiferoai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:18059
Date29 April 2003
CreatorsKeinath, Andreas
ContributorsTechnische Universität Chemnitz
Source SetsHochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden
LanguageGerman
Detected LanguageGerman
Typedoc-type:doctoralThesis, info:eu-repo/semantics/doctoralThesis, doc-type:Text
Rightsinfo:eu-repo/semantics/openAccess

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