Seit dem in den 1990er Jahren proklamierten Animal Turn befasst sich das interdisziplinäre Forschungsfeld der Human-Animal Studies mit dem von Missverständnissen geprägten Verhältnis zwischen Mensch und Tier. Das Bestreben liegt darin, Disziplinen wie Biologie, Philosophie, Soziologie, Anthropologie und Geschichte zusammenzuführen und einen Perspektivwechsel hin zur Anerkennung nichtmenschlicher Wirkmächtigkeit und ihrer Agency vorzunehmen.
Ich werde zu Beginn meiner Arbeit nachvollziehen, in welchem Maße die religiöse, wissenschaftliche und philosophische Zentrierung des Menschen immer wieder dazu gedient hat, jedwede Form von Unterdrückung und Gewalt an sogenannten Anderen zu legitimieren. Dies war und ist nur dadurch möglich, dass sich der angebliche Universalismus des Menschen aus dem Konstrukt des heterosexuellen, weißen Mannes speist(e), dessen Männlichkeit als geschlechtslos, dessen „Weißsein als unrassifiziert, Cis-Geschlechtlichkeit als echt, und so weiter“ (Laboria Cuboniks 2015: 26) erscheint. So wurden „Tiere“, „Frauen“ und „Schwarze“ in abendländischen Diskursen immer wieder als „Andere“ konstruiert, diffamiert, diskriminiert und eliminiert.
Während das Überleben auf einem gemeinsamen Planeten einen ebenso bescheidenen wie essentiellen Anspruch formuliert, bleibt darüber hinaus auf kommende Gemeinschaften zu hoffen, in der unterschiedlichen Seins- und Beziehungsweisen nicht mit Gewalt und Unterdrückung, sondern gegenseitigem Respekt, Neugierde und „uneigennütziger Solidarität“ (Vgl. Ebd.: 33) begegnet wird, sowohl zwischen Menschen als auch zwischen Spezies. Die Bestrebungen der Human-Animal Studies sind in diesem Sinne basal für zukünftige, fürsorglichere Gesellschaften, die erst mit der Überwindung des Anthropozentrismus möglich sind. Wie kommen wir endlich von den etablierten Positionen im Nachdenken über humans und nonhuman animals hin zu einer Neukonstitution von Beziehungsweisen und zu der Anerkennung produktiver Differenzen?
Einen eigenen Wissenskanon zu formulieren, ist eine wirksame Intervention, um den hartnäckigen Fundamenten den Kampf anzusagen. Diese Arbeit ist in dieser Hinsicht auch eine Dokumentation meiner Recherche nach Verbündeten, deren Gemeinsamkeiten und produktiven Differenzen. Die titelgebenden ANIMAL REMINDER leihe ich mir von Martha C. Nussbaum und etabliere sie im Laufe der Arbeit als eine Figur der Transition: ANIMAL REMINDER verweisen auf die Probleme und Potentiale an porösen Grenzübergängen. Deren Koordinaten sind variabel und einer Vielzahl an Interpretationen und Irritationen unterworfen. ANIMAL REMINDER kommentieren zeitgenössische Diskurse an den Schnittstellen von feministischer Theorie, Kunst, Technik und Wissenschaft und lassen sie in unterschiedlichen Bedeutungsfacetten changieren. Sie durchwirken und verbinden die folgenden Kapitel auf der Suche nach widerständigen Praktiken: ANIMAL REMINDER erscheinen in der Liebe, in Verwandtschaften, bei der Reproduktion, in Architekturen, als Abjekte und Monster. Sie sind trans*, sie atmen und sind belebt.
Ausgehend von der Ordnung der Lebewesen als nur eine mögliche von vielen, werde ich die Möglich- und Wirklichkeiten der Transformation sozialer Beziehungen und deren Bedingungen erforschen. Interdependenzen zwischen menschlichen und speziesübergreifenden Beziehungen werde ich fortlaufend bespiegeln.
Mit dieser Arbeit erhebe ich keinen Anspruch auf Vollständigkeit, ihre Form der künstlerischen Recherche ist unabgeschlossen und durchlässig. Mein Umgang mit Sprache, Verknüpfung und Übersetzung ist spielerisch und beharrt auf ebendieser Unabgeschlossenheit.
Jack Halberstam benutzt in seinen* Arbeiten den Asterisk nicht zur Markierung eines alternierenden Geschlechts, sondern drückt damit die „prinzipielle Konstruiertheit
und Instabilität jeglicher (Geschlechts-)Identität“ (Halberstam 2021: 10) aus. „Trans* sei demnach weder als ein Seinszustand noch als ein zielgerichteter Übergang zu verstehen, sondern als genuine Unabgeschlossenheit ungewisser Seinsweisen, wie – aus einer queer-dekonstruktiven Perspektive – in letzter Konsequenz alle Identitäten betrachtet werden müssen.“ (Ebd.: 11) So bestand laut Halberstam auch der Nutzen des Begriffs queer nie darin, etwas zu beschreiben: „Queer sollte nie ein Begriff sein, mit dem sich jemand vollständig identifiziert, den jemand für sich in Anspruch nimmt […] Die Intention war vielmehr, mit queer ein kritisches Verhältnis zu Identität auszudrücken.“ (Halberstam 2007: 30) Dieses kritische Verhältnis ist für ANIMAL REMINDER wesentlich. Queere Diskurse sind in einer zweiten Hinsicht für diese Arbeit von Bedeutung: So wie das Tier als Prototyp für die Konstruktion von Andersartigkeit dient(e), können die Verhandlungen am Geschlecht als beispielhaft für die kulturelle Tradierung des Verhältnisses von Norm und Tatsache gelesen werden (Vgl. Laboria Cuboniks 2015: 22). Dieses Verhältnis ist laut Laboria Cuboniks nie festgelegt, sondern der unendlichen Aufgabe des Entwirrens unterlegen (Vgl. Ebd.: 28).
Laboria Cuboniks (2015): „Xenofeminismus – Eine Politik für die Entfremdung“. In: Armen Avanessian, Helen Hester (Hg.): Dea Ex Machina. Merve Verlag Berlin
Halberstam, Jack (2021): Trans*Positionen zu Geschlecht und Architektur. Anna Babka, Rosemarie Brucher (Hg.), Verlag Turia+r Kant Wien Berlin:Vorwort
DELTA
FIKTIVE TIERE*
ANIMAL LOVERS
[CON]FUSION
ARCHITEKTUREN
WE HAVE NEVER BEEN HUMAN
Identifer | oai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:86374 |
Date | 03 July 2023 |
Creators | Marschner, Tess |
Contributors | Köppert, Katrin, Hochschule für Grafik und Buchkunst |
Source Sets | Hochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden |
Language | German |
Detected Language | German |
Type | info:eu-repo/semantics/publishedVersion, doc-type:masterThesis, info:eu-repo/semantics/masterThesis, doc-type:Text |
Rights | info:eu-repo/semantics/openAccess |
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