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Zerstörung von Netzwerken als Sonderfall des Netzwerkmanagements

Auch über den wissenschaftlichen Diskurs hinausgehend stehen Netzwerke für In-formationsfluss, Synergieeffekte, Partizipation und Identitätsstiftung; in jedem Fall unbestritten ist die allgemeine „... Konjunktur der Idee, dass Netzwerke Problemlö-sungen zustande bringen, die anderen organisatorischen Arrangements oder institu-tionellen Strukturen überlegen sind ...“ (Weyer 2000, 1). Egal, ob dabei ganz allge-mein Kompetenzverbesserung und Effizienzsteigerung als Vorteile von Vernetzung (Reiss 1996, 198f) oder konkreter partizipatorische Aspekte einer Electronic Demo-cracy (Winkel 2000, 19) zur Diskussion stehen: die größtenteils positive Konnotation des Netzwerkbegriffes scheint der kleinste gemeinsame Nenner einer ansonsten von Unübersichtlichkeit und Theoriedefiziten geprägten Debatte zu sein (vgl. etwa Tacke 2001, 40f).
Wer sich mit der Zerstörung von Netzwerken beschäftigt, erregt daher leicht den Verdacht, den Minimalkonsens einer äußerst kontroversen Debatte angreifen zu wol-len. Dass die „... meisten z.T. lebenswichtigen Infrastrukturen - ob Bahn oder Sprach- und Datennetze, Energieversorgung oder Rettungsdienste, Banken oder Kranken-häuser – (...) heute in hohem Maße von Informationstechnik und Vernetzung abhän-gig“ (Hutter 2000, 31) sind, mag den Ruch des sprichwörtlich subversiven Anliegens noch verstärken.
Aber auch jenseits des vergleichsweise engen Fokus der primär theoretisch oder informationstechnologisch orientierten Netzwerkdebatte muss mit Widerständen ge-rechnet werden: In der aktuellen Globalisierungsdebatte etwa beziehen sich die Be-griffe Netzwerk bzw. Vernetzung gleichermaßen auf Voraussetzungen, Begleiter-scheinungen und Folgen von Globalisierung bzw. werden als Maßeinheit von oder als Strategien für den Umgang mit Globalität gehandelt (vgl. etwa Held 1999; Altvater 1996; Stichweh 2000).
Gedanken an die Zerstörbarkeit von Netzwerken berühren demnach nicht nur Fragen der Sicherheit basaler Infrastrukturen. Sie scheinen auch auf grundlegende Prozesse gesellschaftlicher Entwicklung zu zielen. Vor diesem Hintergrund erscheint der Ge-genstand vorliegender Arbeit nicht nur als subversiv, sondern in letzter Konsequenz auch als hoffnungslos.
Schließlich können die mittels Netzwerkforschung gewonnenen Erkenntnisse und Strategieansätze mitunter als ebenso vielversprechend gelten wie die mit dem Begriff verbundenen Hoffnungen mächtig sind. Und was wird den Netzen nicht alles zuge-traut:

- Das Internet entwickelt sich zum „plappernden Bazar“ (Hofman 2001, 5), zu einer Arena der Vernetzung, in der wiederum, mitunter weit gestreute, so-ziale Netzwerke etabliert werden können.
- Vernetzung erzeugt einen inter- und multikulturalen Zusammenhang (Gla-ser 1999, 8), der vor Ort in Form von Netzwerken integriert und lebbar ge-macht wird.
- Netzwerke gelten als hilfreiches Instrument zur Erhaltung oder Erneuerung der Westlichen Wertekultur (Opaschowski 2001, 7-17). Auf die Spitze ge-triebene Szenarien beschwören gar die Möglichkeit der globalen Totalinte-gration durch die Vernetzung aller Menschen zu einer organismus-ähnlichen Gemeinschaft.
- Visionäre der Cyber-Demokratie versprechen zunehmend selbstbewusster einen Basisdemokratisierungsschub durch mehr Interaktivität, Multimediali-tät und Selektivität bei gleichzeitig niedrigeren Organisationsgraden (Jarren 1998, 13f). In der Gestalt internationaler Allianzen (MNU, NGO) oder sub-nationaler Strukturen (Bürgerinitiativen) setzen Netzwerke den Staat in e-ben dem Maße unter Druck, in dem sie sich als neuer Koordinations- und Verhandlungsmodus anbieten.
- Besonders prominent schließlich wird Vernetzung im wirtschaftswissen-schaftlichen Kontext als Erfolgsrezept gehandelt, etwa als Instrument der Wiederbelebung strukturschwacher Wirtschaftsregionen (Wegge 1999; Grabher 1993), der Stabilisierung von Unternehmenseinheiten und der Anpassung an globalisierte Märkte ebenso wie flexibilisierte Konsumen-tenwünsche (Weyer 2000), der effizienten Abwicklung von F&E-Prozessen (Stichweh 1999) sowie der umfassenderen Einbindung der persönlichen Ressourcen der Belegschaft (Sydow 1999/2000). Mitunter gelten sie schlicht als (eine) Organisationsform der Zukunft (Sydow 1993).

In dieser zwangsläufig unvollständigen Liste an Beispielen tauchen Netzwerke ein-mal mehr als Ermöglichungshorizonte oder Demokratisierungsimpulse auf, als In-strumente ganzheitlicher Wertschöpfung oder Strategien nachhaltiger Integration; eben schlicht als Gussform des Fortschritts.
Die Beschäftigung mit der Zerstörbarkeit von Netzwerken nimmt sich demnach nicht nur aus als hoffnungslos subversiv, sondern auch als hoffnungslos reaktionär.
Folglich muss dieser Arbeit daran gelegen sein klarzustellen, dass es ihr nicht darum gehen kann, einen neuen Don Quichotte mit der Lanze des Fordismus in den Kampf gegen die Leitmetapher einer diagnostizierten Zukunft zu schicken.
Es soll lediglich darum gehen, ein Modell der Vernetzung kleiner und mittelständi-scher Unternehmen in einen allgemeineren Kontext zu übertragen, um von diesem Modell auf allgemeine Managementaufgaben im Zusammenhang mit Netzwerken schließen, und diese schließlich auf den Forschungsgegenstand, die Zerstörung von Netzwerken, zu beziehen. Dabei basieren die Überlegungen auf den drei folgenden Grundannahmen, deren Bestätigung das Ziel dieser Arbeit ist:

- Es kann nötig sein, Netzwerken zu zerstören.
- Es braucht sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Konzepte, um die Zerstö-rung von Netzwerken thematisch zu erschließen.
- Die Zerstörung von Netzwerken ist nicht nur theoretisch modellierbar, sondern auch bereits in der Praxis nachweisbar.

Die ersten beiden Grundannahmen sollen daher in Kapitel (2) diskutiert werden. Da-für werden in einem ersten Schritt Gründe für eine Auseinandersetzung mit der Zer-störung von Netzwerken gefunden werden (2.1). Daran anschließend soll folgende Situation dargestellt werden: Die Zerstörbarkeit von Netzwerken wird z.B. im Bereich informationstechnologischer Netzwerke oder krimineller Organisationen ebenso in-tensiv diskutiert wie sie innerhalb des sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Dis-kurses ausgeblendet wird (2.2).
Im Anschluss sollen Entwicklungslinien und der aktuelle Stand der sozial- und wirt-schaftswissenschaftlichen Netzwerkforschung skizziert werden (3).
Dies vorausgesetzt lässt, sich mit dem Konzept der hierarchielosen regionalen Ver-netzung des SFB 457 an der Technischen Universität Chemnitz, ein Struktur- und Prozess-Perspektive integrierendes Netzwerk-Modell einführen, das zum einen die Operationsweise von Netzwerken zu erklären im Stande ist und zum anderen zur präziseren Eingrenzung des hier verwandten Netzwerkbegriffes auf Netzwerke im Sinne von Netzwerkorganisationen taugt (4).
In ihrem zentralen Kapitel beschäftigt sich diese Arbeit mit der Modellentwicklung sowie der Suche nach Fällen und Strategien der Zerstörung von Netzwerken (5). Auf Grundlage von Modellanpassungen wird die Zerstörung von Netzwerken als Sonder-fall des Netzwerkmanagements eingeführt. Da der Begriff der Zerstörung im betref-fenden Kontext nicht geläufig ist, muss er in Abgrenzung zu bereits dokumentierten Fällen des Zerfalls und der Auflösung von Netzwerken hergeleitet werden. Daran anschließend werden Einfallstore für Zerstörungsaktivitäten und entsprechende Sze-narien identifiziert, denen Strategien zugeordnet werden sollen (5.1). Unter Rückgriff auf das entwickelte Modell soll im darauf folgenden Abschnitt die Geschichte des Niedergangs der norddeutschen Städtehanse im Hinblick auf Zerstörungsszenarien und –strategien rekonstruiert werden (5.2).
Kapitel (6) dient der Zusammenfassung der Ergebnisse sowie der Diskussion weiter-führender Fragestellungen.

Identiferoai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:18909
Date24 August 2002
CreatorsRoth, Steffen
ContributorsBrock, D., Voss, G.G., Technische Universität Chemnitz
Source SetsHochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden
LanguageGerman
Detected LanguageGerman
Typedoc-type:masterThesis, info:eu-repo/semantics/masterThesis, doc-type:Text
Rightsinfo:eu-repo/semantics/openAccess

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