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Husserl und Soziobiologie - Der Versuch einer Synthese am Beispiel der Verwandtenerkennung / Husserl and Sociobiology - A Critical Attempt at Synthesis

Wilke, Hartmut 01 June 2011 (has links)
In meiner Arbeit untersuche ich die soziobiologische Theorie der Verwandtenerkennung, um zu zeigen, dass einige ihrer Aussagen über den genuinen Forschungsbereich der Soziobiologie hinausgehen und die Phänomenologie einen substantiellen Beitrag zu eine umfassenden Theorie der Verwandtenerkennung leisten kann. Die Arbeit ist ein erster origineller Beitrag zur Synthese von Soziobiologie und Phänomenologie und wird als Anreiz für weitere Zusammenarbeit angesehen. Die Theorie der Verwandtenerkennung ist dabei als exemplarischer Fall für biologische Verhaltenserklärungen zu sehen, d. h. meine Ergebnisse sind generalisierbar und lassen sich auf analoge Sachverhalte beziehen. Im ersten Teil der Untersuchung werden zunächst die Theorie der Verwandtenerkennung und einige allgemeine Aspekte der Soziobiologie dargestellt. Das vorherrschende Paradigma zur Erklärung von sozialem Verhalten innerhalb der Soziobiologie ist das der Verwandtenselektion (kin selection), weshalb die Möglichkeit der Verwandtenerkennung durch Verwandtenerkennungsmechanismen (VEM) eine notwendige Voraussetzung für die Plausibilität des Paradigmas darstellt. Eine Vielzahl empirischer Studien an unterschiedlichsten Spezies zeigt, dass es direkte und indirekte VEM gibt, die auch zu gleicher Zeit bei einer Spezies vorkommen können, z. B. beim Menschen. Abgesehen von der teils schwierigen Abgrenzung der einzelnen Mechanismen stellt sich das Problem, dass neben Mechanismen die auf genetische Ebene wirken (direkte VEM) auch psychische Mechanismen eine wesentliche Bedeutung für die Verwandtenerkennung insbesondere beim Menschen haben. Damit muss die Soziobiologie ihren rein physikalischen Aussagenbereich erweitern, indem bspw. die Psychologie erklärt, wie es zu einer sogenannten psychologischen Verwandtschaft kommt. Die Erweiterung der soziobiologischen Forschungsdomäne ist Anlass für eine phänomenologische Hinterfragung erstens des Begriffs „Verwandtschaft“ und zweitens der grundlegenderen Thematik der Ebenenunterscheidung. Durch die phänomenologische Methode Edmund Husserls lässt sich im zweiten Teil der Dissertation zeigen, auf welche Weise die hier relevanten Ebenen (materielle Natur und Animalia), die Husserl Regionen nennt, durch erkennende Subjekt in unterschiedlicher Weise konstituiert werden. Außerdem wird die Relevanz einer dritten Region, des Personal-Geistigen, deutlich. Die phänomenologische Methode gliedert sich in zwei unterschiedliche Komponenten, einmal die phänomenologische, zum anderen die eidetische Reduktion. Erstere begründet die Konstitution der Welt durch ein erfahrendes Subjekt, wodurch diese zu einer sinnvollen Welt wird. Die Rückführung unserer alltäglichen Weltauffassung auf die synthetischen Leistungen des Bewusstseins stellen eine erkenntnistheoretischen Begründung der Unterscheidung der unterschiedlichen Regionen dar. Mit der eidetischen Reduktion bietet Husserl eine Methode, diese Regionen zu bestimmen. Wichtig für alle drei genannten Seinsregionen ist die Intersubjektivität, deren Zustandekommen gesondert diskutiert wird. Hierbei zeigen sich bereits Grenzen der Husserlschen Phänomenologie. Dennoch ist es vor dem phänomenologischen Hintergrund möglich, Verwandtschaft regional-spezifisch zu bestimmen. Die jeweilige Bestimmung zeigt wiederum den Nutzen aber auch die Grenzen der phänomenologischen Methode. Da sich der phänomenologische Zugang methodisch stark von dem der Soziobiologie unterscheidet wird im dritten und abschließenden Hauptteil diskutiert, inwiefern sich beide Zugangsweisen verbinden lassen. Grundsätzlich werden hier drei Argumentationen entwickelt: Erstens eine starke phänomenologische Position, die der Phänomenologie eine Geltungshoheit einräumt. Diese Position wird verworfen, da sie auf einem Missverständnis der Husserlschen Phänomenologie beruht. Zweitens wird als eine schwächere phänomenologische Position die Möglichkeit einer Naturalisierung der Phänomenologie am Beispiel der sogenannten Neurophänomenologie besprochen. Auch hier sind einige Mängel festzustellen: Die Naturalisierung führt gewissermaßen zu einer Entwertung der phänomenologischen Methode zur bloßen Deskription. Schließlich wird drittens der Überlegung nachgegangen, inwieweit die Theorie der Verwandtenerkennung naturalismusintern erklärt werden kann. Dafür wird ein weiteres Beispiel aus der empirischen Forschung eingeführt, dass analog zur Theorie der Verwandtenerkennung zu verstehen ist: Soziologische Untersuchungen zur Fremdenfeindlichkeit erfordern ebenfalls eine Erweiterung des Forschungsbereichs, wobei ein Erkenntnisgewinn durch die Soziobiologie zu erwarten ist. Es besteht eine direkte Verbindung zwischen Verwandtenerkennung und Fremdenfeindlichkeit in dem Sinne, als letztere über eine Erweiterung der VEM erklärt werden kann. Somit zeigt sich erstens, dass eine Erweiterung der jeweiligen Forschungsbereiche zu einem Erkenntnisgewinn führen, und zweitens, dass die Phänomenologie auch hier einen metatheoretischen Nutzen hat, weshalb auch in diesem Fall von einer schwächeren phänomenologischen Position die Rede ist. Insgesamt ist der Versuch als erfolgreich zu bewerten, da etliche Anschlussmöglichkeiten von empirischer und phänomenologischer Forschung aufgewiesen werden. Die Phänomenologie profitiert dabei von den empirischen Wissenschaften, indem einige konzeptionelle Unklarheiten (bspw. hinsichtlich der Intersubjektivität) gelöst werden können, die Soziobiologie kann die phänomenologischen Analysen erstens als Heuristik für die weitere Erforschung der Verwandtenerkennung verwenden. Zweitens zeigt die Phänomenologie wesentliche Unterschiede zwischen unterschiedlichen regionalen Ontologien, wodurch ein Verständnis der Relation zwischen diesen deutlicher wird.

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